Hermi Jursa (1912-2000)

29. Dezember 1912 – 12. Februar 2000

Hermine Jursa 1998

Hermi Jursa 1998; Videostill: Bernadette Dewald

Hermine Jursa, genannt Hermi, wurde 1912 in Wien geboren. Sie verwaiste früh und wuchs bei Pflegeeltern im Waldviertel auf. Ihr Wunsch, nach der Pflichtschule eine Lehre zu beginnen, wurde von den Pflegeeltern mit der Begründung abgelehnt, ein Mädchen hätte nichts zu lernen. „Ich bin wie das wilde Gras aufgewachsen“, so Hermi Jursa später. „Mir ist es nicht schlecht gegangen, aber es hat sich auch niemand gekümmert um mich, dass ich, sagen wir, mich weiterbilden kann oder so was. Das war nicht drin.“
So arbeitete sie zunächst ein Jahr in einer Strumpffabrik. 1929 zog sie zu ihrer Schwester nach Wien und arbeitete als Dienstmädchen und Wäscherin. Sie wurde immer wieder entlassen, einmal weil sie Anspruch auf Urlaub hatte, den die Dienstgeberin nicht bezahlen wollte, ein anderes Mal wegen eines Arbeitsunfalls, worauf sie um ihre Abfertigung kämpfte. 1934 heiratete sie Otto Huber und verbrachte bis zu ihrer Verhaftung eine glückliche Ehe mit ihm.

Als Hermi 1936 über NachbarInnen zu einer kommunistischen Widerstandsgruppe stieß, befanden sich die linken Parteien bereits seit zwei Jahren – seit 1934 die austrofaschistische Diktatur errichtet worden war – in der Illegalität. Die Gruppe von Hermi druckte und verteilte illegal Flugblätter und bemalte Wände mit Parolen gegen das austrofaschistische Regime und die immer stärker werdenden Nationalsozialisten. Die Gruppe versuchte, vor allem Arbeiter und Arbeiterinnen darüber aufzuklären, dass in Deutschland bereits Menschen wegen ihrer Herkunft und ihrer politischen Einstellung verhaftet wurden und dass ein Krieg vorbereitet wurde.
Mit der Machtübernahme der Nazis wurde der Widerstand extrem gefährlich. Zum Schutz verwendeten alle Mitglieder sogenannte I-Namen (illegale Namen), Hermi etwa hieß „Roserl“. Sie brachte schriftliches Material zu einem Genossen, der es dann in Betrieben an die ArbeiterInnen weitergab, und verteilte Flugzettel in Häusern, in denen sie Milch zustellte. Zur Verhaftung ihrer Gruppe und vieler anderer führte 1939 der Verrat durch einen Spitzel. Hermi verbrachte über zwei Jahre in Gefängnissen, bis sie 1941 wegen „Hochverrats“ angeklagt wurde. Im Jänner 1942 wurde sie zu einer Zuchthausstrafe verurteilt, jedoch bereits im Mai 1942 ins KZ Ravensbrück verschleppt.

Rosa Jochmann sorgte dafür, dass Hermi relativ rasch auf ihren Block kam, wo sie ein wenig geschützter war als im Zugangsblock. Mitte 1943 wurde Hermi Teil der sogenannten „Sturm-Kolonne“, benannt nach Hanna Sturm, ein Arbeitskommando, das für Reparaturen aller Art am Lagergelände zuständig war. Die Frauen in diesem Kommando hatten eine gewisse Bewegungsfreiheit innerhalb des KZ-Geländes, waren in einer eigenen Baracke untergebracht und gingen sehr solidarisch miteinander um. Zudem nutzten sie die Möglichkeiten, die diese Häftlingsarbeit bot, um anderen Frauen zu helfen. Herausragend war die Rettung von zwei Frauen, die für eine Erschießung vorgesehen waren. Hermi und zahlreiche ihrer Kameradinnen versteckten die Frauen vier Wochen lang vor der SS und konnten ihnen tatsächlich das Leben retten. Hermi erzählte uns aber auch oft von den Kindern, die im Winter 1944 ins KZ gekommen waren, viele von ihnen ohne ihre Eltern oder Bezugspersonen. Einige Häftlinge, darunter auch Hermi, beschlossen, den Kindern eine Weihnachtsfeier zu bereiten. Sie bauten heimlich ein Kasperltheater, sammelten Essen und stellten kleine Geschenke her. Die Lagerleitung kam trotz aller Vorsicht hinter den Plan, erlaubte die Feier aber schließlich. Der KZ-Kommandant hielt sogar eine Ansprache vor den Kindern, die Hermi immer im Gedächtnis geblieben ist: „ Der Kommandant hat ihnen zu Weihnachten versprochen, jetzt haben wir Krieg, jetzt geht es euch halt schlecht, es geht uns allen nicht gut, aber wenn der Krieg zu Ende ist, wird’s euch gut gehen. Und was war dann die Folge? Im Jänner sind sie dann auf Transport nach Bergen-Belsen gegangen und alle sind vergast worden, die Kinder, vom Kleinsten bis zum Größten.“
Als die Lager-SS im April 1945 die noch lebenden Häftlinge auf „Evakuierungstransporte“ schickte, gelang Hermi gemeinsam mit Mali Fritz die Flucht. Zu Fuß kehrten sie nach Wien zurück, wo sie am 21. Juni 1945 ankamen.

Ihr Ehemann Otto Huber hatte sich, während Hermi im KZ Ravensbrück war, von ihr scheiden lassen. Kurz nach ihrer Rückkehr lernte sie ihren zweiten Mann, Wilhelm Jursa, kennen, ein Spanienkämpfer, der das KZ Dachau überlebt hatte. 1946 heirateten sie und bezogen eine Wohnung in Wien-Erdberg. Hier meldete sich Hermi auch gleich bei der KPÖ-Bezirksleitung und beteiligte sich Aufräum- und Aufbauarbeiten. Über diese Zeit im Nachkriegsösterreich erzählte sie: „Wie wir dann – so viel Ablehnung erlebt haben, als wir zurückgekommen sind. Ah, was wir da erlebt haben an verdrehten Gehirnen! Was der Faschismus alles angerichtet hat. Das war schon eine große Enttäuschung für uns. (…) Aber ich bin ja nicht dagesessen und habe nur studiert, was in der Vergangenheit war. Ich habe keine Zeit gehabt nachzudenken. Weil – ich war gefordert. Ich war absolut gefordert, ja. Und der Kampf ist weitergegangen.“
Hermi Jursa war für die KPÖ in der Bezirksgruppe Erdberg als Bildungs- und Frauenreferentin tätig, später in der Friedensbewegung. Ihrer beruflichen Arbeit als Telefonistin ging sie bis 1963 nach. Ihr Ehemann Wilhelm Jursa starb 1997.

Viele Jahrzehnte lang war Hermi Jursa aktives Mitglied der Österreichischen Lagergemeinschaft Ravensbrück und pflegte Kontakte zu Menschen in verschiedensten Ländern, die sie während der Verfolgung kennengelernt hatte. Vor allem die ermordeten GenossInnen, FreundInnen und KameradInnen durch gelebte Erinnerung dem Vergessen zu entreißen, war ihr sehr wichtig. So war es für Hermi auch selbstverständlich, sich an der Ausstellung „Wege nach Ravensbrück“ mit ihrer eigenen Geschichte zu beteiligen – wodurch ich sie glücklicherweise näher kennenlernen konnte. Für die Ausstellung haben Daniela Gahleitner und ich zwei Tafeln über ihre Biografie gestaltet und dabei eng mit ihr zusammengearbeitet. Trotz ihrer zunehmenden gesundheitlichen Probleme bemühte sie sich, uns ihre Erfahrungen nicht nur mitzuteilen, sondern uns zu helfen, sie auch zu verstehen, um selbst einen Nutzen daraus zu ziehen. Es war ihr deshalb besonders wichtig, uns die Zeit des aufkommenden Faschismus und Nationalsozialismus nahezubringen. Sie war eine starke Frau, voller Wissensdurst und Lebensfreude. Der nationalsozialistische Terror, dem sie ausgesetzt war, konnte sie nicht brechen.

Unsere Fragen und Interviews bewirkten zwar auch bei ihr, dass Erinnerungen wieder aufgefrischt wurden, die äußerst schmerzlich waren, aber das müsse eben sein, meinte Hermi Jursa: „Die Vergangenheit holt uns wieder ein, mehr oder weniger. Und ich und viele andere finden es auch sehr gut, dass das geschieht, dass darüber gesprochen wird. Ich glaube, das ist – für die Geschichte Österreichs auch notwendig. Es sind Frauen – es sind hier Frauen gewesen, die aus sich heraus etwas gemacht haben, die niemand angetrieben hat. Und jede hat ihren Kopf eingesetzt.“

Hermi Jursa war bei der Eröffnung der Ausstellung „Wege nach Ravensbrück“ im November 1999 noch anwesend, doch wenige Monate später, am 12. Februar 2000, erlag sie einer schweren Krebserkrankung.

verfasst von Sylvia Köchl, OELGR/F

Alle Zitate von Hermi Jursa stammen aus Interviews, die Helga Amesberger, Brigitte Halbmayr und Tina Leisch im Herbst 1998 und im Sommer 1999 mit ihr geführt haben.


Die Flucht vom „Evakuierungsmarsch“ und die Heimkehr vom KZ hat Mali Fritz in ihrem Buch „Es lebe das Leben. Tage nach Ravensbrück“, das 1983 veröffentlicht wurde, beschrieben.

Zwei lebensgeschichtliche Interviews mit Hermi Jursa, geführt von Helga Amesberger (Kamera: Bernadette Dewald), sind Bestandteil des VideoArchivs Ravensbrück.