Christl Wagner (1922-2007)

9. März 1922 – 16. August 2007

Christl Wagner 1998; Videostill: Tina Leisch

Christl Wagner 1998; Videostill: Tina Leisch

Christine Wagner, genannt Christl, aus Leoben ist am 16. August 2007 im Alter von 85 Jahren verstorben. Das Begräbnis fand im Kreis der Familie statt. Ich lernte Christl Wagner im Mai 1998 kennen, als wir sie baten, uns für die Ausstellung „Wege nach Ravensbrück“ ein lebensgeschichtliches Interview zu geben. Das Erzählen fiel ihr anfangs schwer, sie wirkte auf uns traurig und verletzlich.

Christl wuchs in Leoben-Donawitz auf und kam früh durch ihre Eltern und ihren Freundeskreis mit sozialistischen Ideen und Organisationen in Berührung. Nach 1938 absolvierte sie mehrere Jahre Arbeitsdienstpflicht und Kriegshilfsdienst, bis sie etwa 1942 bei einer Stelle im Meldeamt der Gemeinde Leoben unterkam – eine für den Widerstand in Leoben wichtige Position. Christl erfuhr von manchen bevorstehenden Verhaftungen und konnte viele Betroffene rechtzeitig warnen. Nach und nach wuchs die junge Frau in immer mehr Aufgaben des politischen Widerstands hinein. Sie versorgte auf stundenlangen Märschen versteckte Partisanen mit Lebensmitteln, Zigaretten und Medikamenten und brachte auf dem Rückweg Flugblätter mit. Untertags setzte sie ihre Arbeit bei der Gemeinde fort. „Klein war ich, zart war ich, wer denkt sich denn da was dabei?“ Mit diesen Worten beschrieb Christl Wagner ihre Strategie, den Nationalsozialisten als Mitglied einer Widerstandsgruppe möglichst nicht aufzufallen. Durch einen Verrat wurde sie jedoch verhaftet und im Gefängnis durch einen Gestapobeamten schwer misshandelt.
Im September 1944 wurde sie mit sieben anderen Frauen aus Leoben ins KZ Ravensbrück deportiert. Von dort gelangte sie in ein Nebenlager, Magdeburg-Polte, in dem sie Zwangsarbeit für die Rüstungsindustrie verrichten musste. Die „Leobnerinnen“ hielten in dieser Zeit fest zusammen und unterstützten sich gegenseitig. Sie trafen sich auch lange nach 1945 noch regelmäßig.

Nach der Befreiung war Christl Wagner gesundheitlich angeschlagen. Sie erfuhr sehr bald, dass ihre Eltern – beide ebenfalls im politischen Widerstand – die Lager Ravensbrück und Flossenbürg nicht überlebt hatten. Sie nahm den Tod ihrer Eltern auf sich und erlitt einen psychischen Zusammenbruch. An ihrer Stelle übernahm sie die Versorgung ihrer jüngeren Brüder. Sie heiratete 1945 ihren Jugendfreund, den Leobner Widerstandskämpfer Toni Wagner, bald wurde ihre Tochter geboren.
Wie ihr Mann war auch Christl Wagner politisch in der KPÖ aktiv. Auch für die Lagergemeinschaft Ravensbrück engagierte sie sich und organisierte etwa einmal eine Jugenddelegation nach Ravensbrück, auf die sie sehr stolz war. Christl Wagner war nicht nur eine kleine, zarte und verletzliche Frau, die durch die Verbrechen des Nationalsozialismus in ihrem Lebensmut so nachhaltig gebrochen wurde. Sie war auch stark, konsequent und mutig. Lächelnd erzählte sie uns, dass sie unmittelbar nach Kriegsende ohne Wissen ihres Mannes alle Möbel aus ihrer Wohnung hinauswarf, die einem ehemaligen Nationalsozialisten gehört hatte. 1968, als sie vom Einmarsch der sowjetischen Truppen in Prag erfuhr, demontierte sie das Bild des damaligen KP-Vorsitzenden, das in der Wohnung hing und brach nicht nur mit der Partei, sondern verlor auch einen Großteil ihres Freundeskreises, der sich von dem Ehepaar distanzierte.
Zuletzt lebte Christl Wagner in einem PensionistInnenheim in Leoben. Wir fühlen mit Christl Wagners Familie und ihren FreundInnen und betrauern den Verlust dieser wunderbaren Frau.

Christa Putz


Christl Wagner in der Ausstellung „Wege nach Ravensbrück“