Anna Jug (1922 – 2021)

Die Kärntner Slowenin, Widerstandskämpferin und Ravensbrück-Überlebende Anna Jug (geb. Olip) wurde am 6. November 1922 in der kleinen Gemeinde Zell-Sele geboren. Am 20. September 2021, kurz vor ihrem 99. Geburtstag, ist sie nun verstorben. Ihre Geschichte, ihr Mut und ihre Persönlichkeit werden unvergessen bleiben! Die ÖLGR/F wird ihr immer besonders dafür dankbar sein, dass sie ihre Lebensgeschichte für unser biografisches VideoArchiv mit uns geteilt hat. So hat auch die ÖLGR/F-Aktivistin und Filmemacherin Tina Leisch 1999 Anna Jug getroffen, wie sie in ihrem Beileidsschreiben schildert:

Liebe Familie von Anna Jug,
Ich bin sehr froh, Anna kennengelernt zu haben und danke ihr für ihr großes Vertrauen zu uns, den aus Wien daher gereisten fremden jungen Frauen, die ihre Lebensgeschichte erfahren wollten.
Sie hat uns schon beim ersten Treffen in ihrer Küche tief hineingeführt in die Vergangenheit und uns mit ihren Erzählungen die Geschichte der Zellaner*innen so lebendig und ergreifend geschildert, wie kein Spielfilm es vermöchte.
An den Denkweisen und den Weltbildern der Kärntner slowenischen Jugend, die gegen die Nazi gekämpft hat, hat Anna uns teilhaben lassen, uns die unvorstellbaren Leiden, die Trauer um ermordete Familienmitglieder, die Entbehrungen im Aussiedlungslager und die Schinderei fast bis zum Tod im KZ geistig miterleben lassen. Aber auch die Freude über den Sieg über die Nazis, die schwierige Heimkehr und die Diskriminierungen der Kärntner Slowen*innen in der Nachkriegszeit.
Beim Wort „Ravensbrück“ denke ich an Anna, wie sie in Zokel durch den Gatsch läuft, wie sie Saseker von zuhause geschickt bekommt – lebensrettend in den Jahren der Beinahe-Verhungerns – und es wird ihr nachts aus dem Bett gestohlen und sie tröstet sich mit dem Gedanken: „Auch gut, rettet es einer anderen das Leben.“
Sie war nicht nur eine faktentreue und in der Aufzeichnung der Erinnerung sehr um Genauigkeit und Wahrhaftigkeit bemühte Auskunftsperson über die historischen Ereignisse, sondern auch eine große Botschafterin der Humanität, die das fürchterliche Schicksal ihrer eignen Leute nicht verbittert, sondern umso humaner, wärmer und liebevoller gemacht hat.
Ihr großes Herz, ihre feine, noble Art, ihr wunderbares, mädchenhaft verschmitztes Kichern, ihre enorme Diskretion in heiklen Dingen, ihren Zitronemelissentee mit Traubensirup und ihren Hadensterz werde ich nicht vergessen.
Hiermit möchte ich euch mein tiefstes Beileid aussprechen.
Es wäre mir ein Anliegen, mit euch an ihrem Grab zu stehen und zum Abschied noch einmal „Adijo, pa zdrava ostani, podaj mi še enkrat roko“ zu singen.
In Trauer.
Tina Leisch
Wien, am 22.9.2021

Anna Jug beim Interview für das VideoArchiv Ravensbrück 1999.

Anna Jug war damals auch bereit, ihr lebensgeschichtliches Interview für die Wanderausstellung „wege nach ravensbrück“ zur Verfügung zu stellen. Zur Eröffnung der Ausstellung am 10. November 1999 reiste sie zu uns nach Wien, um das erfolgreiche Projekt zu feiern.

Anna Jug (li.) mit Daniela Gahleitner und Tina Leisch bei der Eröffnung der Ausstellung „wege nach Ravensbrück“ am 10. November 1999 in Wien © Archiv der ÖLGR/F

Buchcover „Utihnile so ptice, utihnila je vas“ (2011).

 

 

Anna Jug veröffentlichte ihre Memoiren 2011 unter dem Titel „Utihnile so ptice, utihnila je vas“ (auf Deutsch: „Verstummt sind die Vögel, verstummt ist das Dorf“) im Verlag Mohorjeva Celovec. 2012 erschien das Buch leicht erweitert in deutscher Übersetzung unter dem Titel „Ich war Nr. 20373 in Ravensbrück. Erinnerungen einer slowenischen Widerstandskämpferin“ im Verlag Kitab.